
Institut für Arbeits-, Umwelt- & Flugmedizin
Vorgehen bei Nadelstichverletzungen mit infektiösem Material
Nadelstichverletzungen stellen das größte Risiko für beruflich bedingte Infektionen im medizinischen Bereich dar. Ihre Handhabung sollte allen Mitarbeitern im Gesundheitswesen vertraut sein. Von besonderer Bedeutung sind die Sofortmaßnahmen.
Für eine Übertragung durch Blut sind relevant Viren (Hepatitis B, Hepatitis C, HIV) Bakterien und Pilze.
Praktisches Vorgehen bei einer Nadelstichverletzung
1. Wundreinigung
Nach Kontakt mit Blut oder einer möglicherweise kontaminierten Flüssigkeit sollte an der verletzten Haut durch Druck auf das umgebende Gewebe der Blutfluss verstärkt und gleichzeitig gründlich antiseptisch gespült und für mindestens 10 Minuten ein Wirkstoffdepot mit PVJ / Alkohol angelegt werden.
2. Laboruntersuchung Indexperson
–  Anti-HIV
–  HBsAG
–  Anti-HCV
–  Falls Erstinfektion innerhalb der letzten 3 Monate möglich: PCR für HIV, Hepatitis B und C
3. Laboruntersuchung am Verletzten
–  Anti-HIV
–  HBs-AG, Anti-HBc, Anti-HBs
–  Anti-HCV, bei positivem Ausfall zusätzlich HCV-PCR
–  Ab 2. Woche zusätzlich Transaminasen
Wiederholung der Untersuchungen nach 4Â Wochen, 12Â Wochen, 6Â Monaten
4. Einleitung D-Arzt-Verfahren
Umgehende Weiterleitung an infektiologisch erfahrenen D-Arzt (Ambulanzen großer Kliniken) oder Fax-Meldung an Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege
5. Postexpositionsprophylaxe
Die Planung der PEP sollte sich direkt an die Wundreinigung anschließen, da das Zeitfenster für HIV optimal 2 Stunden beträgt.
HIV | Bei bekannter oder wahrscheinlicher HIV-Kontamination möglichst innerhalb von 2 Stunden, d.h. unabhängig von einem akut abgenommenen HIV-Test bei der Indexperson.
Nach mehr als 72Â Stunden nicht mehr anbieten. Anbieten nur bei hautverletzendem Kontakt mit Nadeln. Nicht bei Blutkontakt der nicht verletzten Haut. Standart: Combivir+Viracept / Sustiva / Kaletra |
HBV | wenn AntiHBs innerhalb von 48Â Stunden zu erhalten oder Anti-HBs vor kurzem bestimmt und >100IE/l: ausreichender Schutz
AntiHBs >100 IE/l, aber letzte Auffrischung älter als 5 Jahre: 1 Auffrischungsimpfung AntiHBs 10-100 IE/l: 1 Auffrischung AntiHBs 10 IE/l oder Titerbestimmung nicht innerhalb von 48 Stunden zu erhalten: Simultanimpfung mit Immunglobulin und Hepatitis-B-Impfstoff |
HCV | Postexpositionsprophylaxe nicht möglich, dafür aber Behandlung frischer Infektionen erfolgversprechend |
HIV | Bei bekannter oder wahrscheinlicher HIV-Kontamination möglichst innerhalb von 2 Stunden, d.h. unabhängig von einem akut abgenommenen HIV-Test bei der Indexperson. |
Achtung: kein Recapping, doppelte Handschuhe bei Chirurgischen Eingriffen an HIV+P.
Prävention
- Medizinisches Personal sollte gegen Hepatitis B geimpft sein. Laufende Kontrollen des Impfschutzes sind unerläßlich.
- Es ist die Aufgabe des Trägers der medizinischen Einrichtung, die notwendigen Informationen und Mittel zum Schutz der Mitarbeiter/-innen bereitzuhalten.
- Jede Stichverletzung, am häufigsten mit Kanülen, kann infektiöses Material in den Stichkanal einbringen und erfordert unverzügliches Handeln.
- Jede Stichverletzung penetriert den schützenden Handschuh.
- Jede Stichverletzung sollte unter allen Umständen vermieden werden.
- Vorgesetzte haben zur Prävention von Unfällen eine besondere Aufsichtspflicht.
- Alle Maßnahmen nach einer Verletzung müssen geübt sein.
- Ungeordnete Arbeitsweise schafft eine besondere Unfallgefahr.
- Alle Transportmittel für biologische Proben müssen Sicherheit bieten.
Jedes Material von Patienten im Labor, auf Station, in der Praxis kann infektiös sein!
Sofortmaßnahmen
Die Wirksamkeit eines Blutstaus durch Abbinden zur Infektionsverhinderung ist unklar und unsicher. Durch Vakuumsaugvorrichtung kann die Spülung des Stichkanals verbessert werden.
- Blutung anregen, um möglichst alles Fremdmaterial aus dem Stichkanal zu entfernen. Dauer 1 bis 2 min.
Zur Desinfektion den Stichkanal spreizen, um eine Tiefenwirkung des Mittels zu erreichen. Dauer der Desinfektion 2 bis 4Â min.
Die Effektivität der Desinfektionswirkung kann nur am Schmerz gemessen werden. Es muss weh tun! Alkoholische Desinfektionsmittel sind zu bevorzugen.
Abschätzen der Infektionsgefahr nach der Anamnese der Infektionsquelle, der Art und der Menge des eingebrachten Materials.
- Vor einer medikamentösen oder serologischen Prophylaxe ist beim Verunfallten und möglichst auch bei der Infektionsquelle eine Blutprobe zum Nachweis von Hepatitis B-, Hepatitis C- und HIV-Markern abzunehmen.
Diese Blutproben sind besonders wichtig, um den Zusammenhang einer eventuell später entdeckten Serokonversion mit dem Unfallgeschehen zu belegen. Dies ist besonders wichtig für die Unfallversicherung.
- Kontrolluntersuchungen sind nach 3, 6 und 12 Monaten durchzuführen.
Die Kosten hierfür übernimmt die Unfallversicherung/Berufsgenossenschaft. Sie sind keine Leistung der gesetzlichen Krankenkasse!
- Dokumentation aller Maßnahmen
Viren
Hepatitis B
Wenn keine ausreichende Immunität bekannt ist, d.h. wenn nicht positiv bekannt ist, dass der Anti-HBs-Titer >10 IU beträgt, ist eine Nachimpfung erforderlich. Im Zweisfelsfall kann eine Schnellbestimmung des Anti-HBs durchgeführt werden.
Bei Nicht-Hep-B-Geimpften oder Personen mit unzureichendem Immunschutz ist eine Simultanimmunisierung, bestehend aus Anti-Hepatitis-B-Hyperimmunglobulin und Hepatitis-B-Impfstoff (seitengetrennt anwenden, keine Mischspritze!) durchzuführen.
Hepatitis C
Gegen Hepatitis C ist weder ein Impfstoff noch ein Hyperimmunglobulin noch eine medikamentöse Prophylaxe vorhanden. Hepatitis-B-Impfstoff oder -Hyperimmunglobulin oder andere Immunglobulinpräparate sind bei Hepatitis C wertlos.
HIV
Ein schützendes Hyperimmunglobulin oder ein Impfstoff existieren noch nicht. Dagegen kann eine medikamentöse Prophylaxe durchgeführt werden, welche das Eindringen der Viren in die Zielzellen und ihre Vermehrung in denselben verhindern soll. Naturgemäß ist eine frühzeitige Prophylayxe wirksamer als eine späte. Beginn der Prophylaxe später als 12 h nach dem Unfallereignis wird als sinnlos angesehen!
Jede Prophylaxe ist nur ein nachträglicher Versuch, eine Infektion und damit eine lebensgefährliche Erkrankung zu verhindern. Eine Garantie für den Erfolg gibt es nicht. Daher ist die beste Prophylaxe die Prävention!
Bakterien
Übertragung von Bakterien durch Blut (also nach Kanülenstich) ist von untergeordneter Bedeutung. In Frage kommen vor allem Mycobacterien (Tuberculose, z.B. bei AIDS-Patienten), Borrelien und Treponemen.
Von erheblich größerer Bedeutung ist die Übertragung von Umgebungskeimen oder Bakterien von der Hautoberfläche. Auch nach einer sachgerechten Desinfektion ist daher die Wunde zu beobachten und gegebenenfalls chirurgisch zu behandeln.
Pilze
Die meisten Pilze sind für eine Übertragung über Blut nicht relevant, mit Ausnahme von Cryptococcus neoformans bei immunsupprimierten Patienten.
Das Beste, was man aus einem Unfallereignis lernen kann, ist, Konsequenzen aus dem Unfallhergang zu ziehen, so dass eine Wiederholung nicht möglich wird.